Reisebericht

Grüße aus Mysuru

Der Wecker klingelt, es ist 4:20 Uhr. Nach etwa zwei Stunden Schlaf, die ich in dieser Nacht gefunden habe, bleibe ich noch für einen Moment liegen. Der Rucksack und die Matte stehen bereit, es ist Zeit für eine kurze Erfrischung, eine Tasse schwarzen Kaffee, dann sitzen Eline und ich schon auf dem Roller – den wir nach dem Tag unserer Ankunft in Gokulam auftreiben konnten – und fahren durch die Nacht. Ich sitze hinten, dirigiere den Weg aus dem Viertel Gokulam Richtung Stadtrand, Eline lenkt dem Linksdrall des Rollers entgegen und versucht die Schlaglöcher und Bremshügel auf der Straße rechtzeitig auszumachen. Bis auf ein paar Hunde und Ziegen ist die Straße noch frei. Als wir gegen 5:20 Uhr das Sharath Yoga Center erreichen, stehen bereits einige Roller auf der grünen Wiese vor der SYC-Shala und ein paar dutzend Yogis am Eingang Schlange auf den Einlass wartend. Nach und nach erreichen mehr Tuktuks die Halle, Lichtkegel kreisen durch die Dunkelheit, die Zurufe der Fahrer hallen zu uns herüber, die Parkwiese füllt sich. Es sind etwa 450 Menschen zu dieser Saison im Dezember und Januar zugelassen, die heute Morgen zur ersten Primary Series Led erscheinen. Sharath Jois öffnet und kontrolliert am ersten Tag von jedem einzelnen die Registrierungskarte. Als ich die Tür erreiche, blickt er mich einen Moment an – „second time“, nickt er. Ich bestätige und trete in die hell erleuchtete Halle ein. Um 6:30 Uhr beginnt die Primary Series Led Class, d.h. eine Stunde vorher da sein, die Uhr in der Shala geht 10 Minuten vor. In der Umkleide tummeln sich Frauen, um ihre Taschen abzulegen. Die angeleitete Klasse ist der Auftakt jeder Woche, an die sich vier Tage im sog. Mysore-Stil (d.h. selbstständiges Üben) anschließen und die mit einer weiteren Primary Series Led Class am 6. Wochentag abschließt.

Die Halle füllt sich, erfüllt von Geplauder. In der Menschenmenge erkenne ich das ein oder andere bekannte Gesicht vom letzten Jahr wieder, Gesichter und Sprachen aus sämtlichen Teilen der Welt. Neben Englisch nehme ich asiatisch, spanisch, portugiesisch, italienisch, indisch, russisch klingende Wortfetzen auf.
10 Minuten vor Beginn dämpft sich der Geräuschpegel zu einem summenden Getuschel und Murmeln und schließlich wird es ganz ruhig. Der ein oder andere schiebt sich abgehetzt noch durch die Eingangstür und sucht nach einem freien Platz, die SYC-Shala – in Größe einer Turnhalle – ist jetzt bis auf die letzte Reihe mit Matten ausgelegt.
Ich bin aufgeregt. Nach langer Reise habe ich Respekt vor der ersten Praxis, in dem die Länge jeder Ein- und Ausatmung im Sanskrit-Count angeleitet wird. Hoffentlich machen Körper und Kreislauf nach dem Jetlag und dem vielen Sitzen diese fordernde Praxis am frühen Morgen mit.

In den Sonnengrüßen – sieben Surya A, fünf Surya B – wird mein Blickfeld beim Aufrichten schwarz, dann finde ich in den Bewegungsfluss, die Gruppenenergie trägt durch die Praxis, der Körper wird durch die Wärme weich. Sharath läuft die Reihen ab, beobachtet. In Navasana nach den Vorwärtsbeugen zählt Sharath extra langsam, hält den Count an, die Oberschenkel brennen. Dann ein kurzes Aufatmen – der anstrengendste Teil liegt hinter mir – bis zum Kopfstand: Sharath zählt bis sieben und unterbricht, fängt an mit einem Schüler zu sprechen. Ich schiebe die Unterarme in die Matte, meine verschränkten Finger gleiten langsam aber sicher immer weiter auseinander, gedanklich bin ich weit über die 15 Atemzüge hinaus, da fängt Sharath wieder bei fünf an. Als wir in Utplutih ankommen, hält mich nur mein Widerwille noch davon ab, mich in dem letzten Asana vor dem letzten Atemzug auf die Matte absinken zu lassen.
Bevor wir uns in die Endentspannung ablegen, grinsen sich Eline und ich erleichtert und erschöpft an-
wir haben es geschafft, bis hierin..
Wir sind aus demselben Flieger gestiegen und haben uns um 2 Uhr nachts bei der Pass- und Visumskontrolle in Bangalore – nach einem Jahr unserer ersten Begegnung in Mysore – wieder getroffen. Sind um 4 Uhr mit dem Bus von Bangalore nach Mysore weitergereist.

Am Morgen umringt von sich ausgelassen unterhaltenden abreisenden Yogis der auslaufenden Saison trinken wir einen doppelten Espresso, um uns bis zum Abend auf den Beinen zu halten und um erledigen zu können, was es zu erledigen gibt – Anmeldung und Registrierung am Sharath Yoga Center, Besorgen einer indischen Handynummer, Anmieten eines Rollers.
Als sich Laruga Glaser – Ashtanga Yoga Star und zertifizierte Lehrerin – neben uns niederlässt, können wir es kaum fassen, die Bewunderung steht uns in die Gesichter geschrieben.
Es erstaunt mich, wie viele Menschen, auch Familien mit Kindern, aus der ganzen Welt nach Mysuru in Karnataka reisen, um sechs Tage die Woche für zwei Monate vor allen anderen aufzustehen
Sich frühmorgens auf den Weg an den Stadtrand machen, dort etwa eine Stunde warten und dann eineinhalb bis zwei Stunden auf eine sehr traditionelle Weise Yoga üben


„No one can force you to practice Yoga, the desire to learn must come from within you“

(Sharath Jois)